Mit dem Start ins Studium beginnt für jeden Erstsemester ein völlig neuer Lebensabschnitt. Studienfrischlinge brauchen erstmal eine Eingewöhnungsphase, um sich an das Unileben und das selbstständigere Lernen heranzutasten. Für behinderte oder chronisch kranke Menschen kommen noch einige Fragen hinzu, die sie klären müssen. Viele studienrelevante Erfordernisse wie die Suche der passenden Wohnung, die Finanzierung von Unterstützungsleistungen und der Ablauf des Studienalltags gestalten sich schwieriger oder bedürfen einer gründlicheren Vorbereitung. Damit Betroffene das Studium dennoch ohne Schwierigkeiten absolvieren können, sollten sie sich einen genauen Plan machen, sich an bestimmte Vorgehensweisen halten und Beratung in Anspruch nehmen. Dieser Artikel liefert dafür die wichtigsten Orientierungsvorgaben.
Was ist bei der Organisation des Studiums zu beachten?
Umfassende Information: Zunächst ist es von größter Bedeutung, sich als Betroffener genau über das Thema „Studium mit Behinderung“ zu informieren. Im Internet findet man fast alles. Wer strukturiert vorgehen möchte, kommt an der Informations- und Beratungsstelle „Studium und Behinderung“ des Deutschen Studentenwerks (IBS) nicht vorbei. Die Informationsstelle vertritt die Interessen von behinderten Studierenden gegenüber Politik und Öffentlichkeit und erläutert die neuesten Entwicklungen der Sozialgesetzgebung. Außerdem bietet sie jedes Jahr empfehlenswerte Einführungsveranstaltungen für Studierende mit Behinderung an.
Wichtige Hinweise zur Bewerbung, zur Finanzierung verschiedener Bedarfe, zu Nachteilsausgleichsregelungen und anderen Themen sind in der kostenlosen Broschüre „Studium und Behinderung“ vorbildlich zusammengefasst. Der Leitfaden ist absolute Pflicht und auch im Internet einsehbar. In einigen Infobroschüren findet man interessante, aber mittlerweile defekte Links über verschiedene Hilfsangebote. In diesem Fall empfiehlt sich ein Klick auf die Seite der jeweiligen Hochschule. Die meisten Hochschulen bieten umfangreiche Leitfäden mit den wichtigsten und aktualisierten Infos wie die hochschulspezifischen Befreiungsmöglichkeiten zum Download an. Außerdem gibt es jährlich an den verschiedenen Hochschulen Informationstage, die einen guten Einblick und nützliche Detailinformationen liefern. Des Weiteren gibt es mittlerweile ein breites Angebot an Bildungsmessen und überregionalen Reha-Messen, an denen Vertreter der Hochschulen teilnehmen und Studieninteressierte mit Behinderung beraten.
Abklärung vor Ort: Vor Studienbeginn ist es unbedingt nötig, den Wunschstudienort unter die Lupe zu nehmen, da ein späterer Wechsel der Hochschule unter Umständen mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Die Studieninteressenten sollten prüfen, welche Mobilität ihnen die zukünftige Heimatstadt bieten kann und wie es mit einer Wohnung aussieht. Vor allem Rollstuhlfahrer, ist es viel schwieriger, eine geeignete Wohnung zu finden. An fast allen Hochschulorten gibt es mittlerweile Studentenwohnheime, die einzelne barrierefreie Appartements für Rollstuhlfahrer anbieten. Ein Bewerbungsantrag sollte möglichst früh gestellt werden, denn die Wartelisten sind lang. Neben der Suche nach einer Wohnung ist es notwendig, gegebenenfalls die Pflege und Studienassistenz zu organisieren. Je nach Unterstützungsbedarf empfiehlt sich eine Unterbringung in einem Wohnheim mit Pflegedienst. Der Vorteil ist, dass alles auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtet ist und der Pflegedienst verwaltungstechnische Vorgänge übernimmt. Gerade zu Beginn des Studiums, wenn der Studienanfänger zu viel organisieren muss, führt jeder Nebenkriegsschauplatz zu großem Stress.
Die Studierenden sollten spätestens ein halbes Jahr vor Studienbeginn mit einer gründlichen Vorbereitung inklusive Beratungsgesprächen vor Ort beginnen. Der nachfolgende Zeitplan dient der Orientierung und muss den jeweils individuellen Erfordernissen und Entwicklungen angepasst werden. Für Studienanfänger bietet sich an, mit Mitgliedern der studentischen Interessenvertretungen behinderter Studierender, die es an einer Vielzahl von Hochschulen gibt, Kontakt aufzunehmen. Der kompetenteste Ansprechpartner bei Fragen, die für das Studienfach relevant sind, ist der Fachstudienberater. Für behinderte Studierende ist er eine wichtige Bezugsperson, da er die Anforderungen des Studienfachs und den Mehraufwand durch die Behinderung gut einschätzen kann. Zudem hat er zu den Professoren Kontakt und kann eventuelle Umbaumaßnahmen am Gebäude initiieren.
Wem all das zu aufwendig erscheint, hat als Alternative zum Präsenzstudium mit einem Fernstudium die Möglichkeit, Lernort, Lernzeit und Lerngeschwindigkeit weitgehend selber zu bestimmen.
Studienfinanzierung: Da behinderte Studierende behinderungsbedingte Mehrbedarfe wie Pflege, Transport zur Hochschule, Studienassistenz sowie die Unterbringung in einer passenden Wohnung finanzieren müssen, sollten sie alle Unterstützungsleistungen ausschöpfen. Hierfür gibt es in Deutschland ein gut ausgebautes System durch die Krankenkassen und die örtlichen Sozialämter. Eine mögliche Unterstützung durch BAföG sollten behindere Studenten unbedingt prüfen, da durch ihre Sondersituation der Freibetrag bezüglich des Einkommens der Eltern höher ist. In manchen Fällen, beispielsweise wenn eine dauerhafte Erwerbsminderung vorauszusehen ist, gewähren die Ämter sogar Sozialhilfe. Eine andere Möglichkeit für finanzielle Unterstützung stellt ein Antrag bei einer Stiftung dar.
Am besten noch vor Studienbeginn sollten die Studieninteressenten einige individuelle Fragen klären, zum Beispiel welche technischen Hilfsmittel sie brauchen, um ihre Beeinträchtigung auszugleichen. Bei vielen Krankheitsbildern ist zusätzlich zu Hilfsmitteln eine persönliche Assistenz nötig, die den Besuch von Lehrveranstaltungen, die Teilnahme an Prüfungen und Bibliotheksrecherchen ermöglicht. Auch studiennotwendige Berufspraktika oder für das Studium sehr förderliche Auslandsaufenthalte müssen gewährleistet sein.
Die Frage der Finanzierung von Assistenz gehört zu den wichtigsten Fragen, mit denen sich behinderte Studierende und Studieninteressierte auseinandersetzen müssen. Denn dieser Faktor ist entscheidend, wie selbstbestimmt sie ihr Leben führen können. Die Finanzierung konkretisiert sich über die so genannte Eingliederungshilfeverordnung (EhVO). Zuständig sind je nach Bundesland die überörtlichen oder örtlichen Sozialhilfeträger, in der Regel Bezirkssozialämter beziehungsweise ihre örtlichen Pendants. In der Regel organisieren die Studierenden ihren Assistenzbedarf mithilfe eines ambulanten Dienstes, die „individuelle Schwerstbehindertenbetreuung“ (ISB) oder andere „mobile soziale Dienste“.
Um die nötige Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu haben, bauen immer mehr behinderte Studierende auf „assistenzähnliche Leistungen“ von Assistenzgenossenschaften oder das Arbeitgebermodell, bei dem die Assistenten von behinderten Menschen selbst angestellt werden. Der zuständige Leistungsträger überweist das nötige Geld direkt an den Hilfsbedürftigen und der Weg über einen Pflegedienst wird eingespart. Welche Variante der Assistenz Form die beste ist, kann nur jeder für sich selbst entscheiden, da die Bedürfnisse sehr unterschiedlich sind.
Wieso ist der Kontakt zum Behindertenbeauftragten der Hochschule besonders wichtig?
Speziell vor dem Studium ist die Kontaktaufnahme mit dem Behindertenbeauftragten zu empfehlen, denn er kann die wichtigsten Fragen rund um das Studieren mit Behinderung beantworten, nützliche Unterstützungsleistungen anbieten und ist dafür verantwortlich, die Situation behinderter und chronisch kranker Studierender zu verbessern. Er ist am ehesten in der Lage, die Chancengleichheit für Studierende mit Behinderung zu gewährleisten, zum Beispiel wenn es um Nachteilsausgleiche bei Prüfungen geht. Zusätzlich verfügt er über nützliche Kontakte zu dem Sozialberatungsstelle des Studentenwerks, zu hochschuleinternen Beratungsdiensten für behinderte Studierende, Prüfungs- und Praktikantenämtern sowie Selbsthilfegruppen in und außerhalb der Hochschule.
Gerade bei Problemen ist es hilfreich, wenn man auf die Unterstützung des Behindertenbeauftragten bauen kann. Er besitzt die nötige Autorität, um bei Problemen zur Bewerbung auf einen Studienplatz zu helfen, unwillige Professoren zu einer Herausgabe von Skripten zu drängen und das Bauamt zu behindertenspezifischen Umbaumaßnahmen zu veranlassen. Außerdem hat er die Möglichkeit, die Anschaffung einer Grundausstattung für Studierende mit Behinderung zu initiieren, beispielsweise die Ausstattung der Bibliothek mit einem EDV-Arbeitsplatz für sehgeschädigte Studierende. Im Bedarfsfall steht es ihm zu, personelle studienbegleitende Hilfen wie Tutorenunterstützung aus derselben Fachrichtung zu veranlassen.
Welche weiteren Hilfsangebote gibt es?
Studierende sollten sich nicht scheuen, mit Selbsthilfeverbänden behinderter und chronisch kranker Menschen Kontakt aufzunehmen, die in alle lebenspraktischen Angelegenheiten Informationen weitergeben und Unterstützung anbieten können. Zwar ist die Hilfestellung in der Regel nicht speziell auf die Probleme von Studierenden bezogen, sondern auf die Gestaltung eines angemessenen sozialen Lebens. Aber gerade für viele behinderte Studienanfänger ist es nicht einfach, sich zu integrieren und soziale Kontakte zu knüpfen. Über bestimmte Selbsthilfegruppen haben Studierende die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen und Gespräche zu führen sowie Freundschaften zu knüpfen. Und genau das kann für ein sehr erfolgreiches Studium entscheidend sein.
Eine sehr intelligente Unterstützungsleistung für Studentinnen mit Behinderung stellt das Mentoring-Programm des Hildegardis-Vereins dar. Jede Studentin wird von ihrer Mentorin beziehungsweise ihrem Mentor ein Jahr lang durch persönliche oder telefonische Beratungsgespräche begleitet. In „Praktikatagen“ erleben sie deren Berufsalltag und lernen Modelle beruflicher Strategien und Führungsverantwortung kennen. Das Programm sieht einen integrativen Ansatz des wechselseitigen Lernens vor, denn in das Modell sind berufserfahrene Akademiker mit und ohne Behinderung eingebunden. Studentinnen ohne Behinderung haben daher ebenfalls die Möglichkeit, sich um eine Förderung durch einen Mentor/in mit Behinderung zu bewerben. Viele andere Hochschulen haben die Idee inzwischen übernommen und bieten behinderten Studenten und Studentinnen an, dass sie zum Studienstart für eine bestimmte Zeit einen Mentor/in zur Verfügung gestellt bekommen.
Die wichtigsten Tipps und Schritte im Überblick:
1. Schritt: mfassende Informationen im Internet und vor Ort über den gewünschten Studiengang und das Leben am Wahlhochschulort einholen.
2. Schritt: Vor dem Studium genügend Zeit für organisatorische Dinge wie Wohnungssuche, Beantragung von Studienassistenz sowie Überprüfung des Zugangs zu allen studienrelevanten Gebäuden einplanen. In jedem Fall ist ein Antrag auf Eingliederungshilfe zu stellen.
3. Schritt: Faustregel: Mit den jeweiligen Ansprechpartnern verschiedener Beratungsstellen wie dem zuständigen Fachstudienberater und dem Behindertenbeauftragen persönlich Kontakt aufnehmen.
4. Schritt: Alle wichtigen Informationen bei der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerks (IBS) in Berlin (Tel: 030.29-77-27-64; E-Mail: studium-behinderung@studentenwerke.de; Internet: www.studentenwerke.de) einholen.
5. Schritt: Bewusst die Hilfe verschiedener Unterstützungsangebote annehmen und das Wissen von Beratungsstellen nutzen.
Die wichtigsten Internetadressen:
Die Selbsthilfeverbände sind in der BAG SELBSTHILFE vereinigt, welche bundesweit die Interessen der behinderten und chronisch kranken Menschen hinsichtlich ihrer Selbstbestimmung und tatsächlichen Gleichstellung bündelt.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Hörbehinderter Studenten und Absolventen e.V. (BHSA) und der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) geben für Betroffene interessante Informationen heraus und veranstalten Seminare.
Alle wichtigen und grundlegenden Informationen zum Studium mit Behinderung kompakt zusammengefasst.
Ebenfalls Interessenartikulation behinderter Studenten, aktuelle Debatten und Modelle, wichtige Vorgehensweisen. Sehr empfehlenswert!