Der Europäischen Kommission steht für die Verfolgung und Ahndung von potentiellen Kartellverstößen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Sie könnte das Standardverfahren nach Art. 7 der VO 1/2003 eröffnen. Dieses ist allerdings mit den Nachteilen behaftet, dass es zumeist sehr zeit- und kostenintensiv ist. Für die betreffenden Unternehmen kommt hierbei hinzu, dass unabhängig vom Ausgang mit einem solchen Verfahren Rufschädigungen einhergehen können und muss bei der Feststellung eines Verstoßes gem. Art. 23 II 2 der VO 1/2003 Bußgelder in Höhe von bis zu 10 % des Vorjahresumsatzes sowie der Vereinfachung von sog. Follow-on-Klagen rechnen.

Da diese Nachteile nicht in jedem Fall hinsichtlich der Schwere des potentiellen Verstoßes angemessen sind, wurde mit der Reform des Kartellverfahrensrechts 2003 das Institut der Zusagenentscheidungen gem. Art. 9 der VO 1/2003 eingeführt. Mit diesem soll der Verfahrensökonomie Rechnung getragen und die Kommission entlastet werden.

Sofern keine Verhängung eines Bußgeldes durch die Kommission beabsichtigt ist, können Unternehmen im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 9 der VO 1/2003 Verpflichtungszusagen abgeben, mit denen sie sich zur Abstellung des potentiellen Verstoßes verpflichten. Die Initiative zur Abgabe solcher Verpflichtungszusagen liegt in jedem Fall bei den Unternehmen, die Kommission hat insofern weder ein Vorschlags- noch ein Änderungsrecht. Die einzige zu erfüllenden Bedingung liegt darin, dass die Zusage geeignet sein muss, die Bedenken der Kommission auszuräumen. Um die Erfüllung dieser Bedingung zu gewährleisten, werden die Kommission und das betroffene Unternehmen in der Regel informell den Inhalt der Zusage aushandeln.

Hier ergibt sich ein nicht außer Acht zu lassendes Spannungsfeld. Die Kommission verfügt über eine beachtliche Verhandlungsmacht: Aufgrund des geltenden Opportunitätsprinzips steht es ihr frei, jeder Zeit von einem Verfahren nach Art. 9 zu einem nach Art. 7 umzuschwenken, was für die Unternehmen mit den oben genannten Nachteilen verbunden wäre. Des Weiteren kann sie beachtliche Bußgelder in Aussicht stellen und so insgesamt die betroffenen Unternehmen zu mehr bewegen, als sie beispielsweise allein vorgeschlagen hätten.

Um solche Fälle zu vermeiden, bedürfen Entscheidungen der Kommission – denn um nichts anderes handelt es sich auch bei Zusagenentscheidungen trotz der Mitarbeit der Unternehmen – der Prüfung auf ihre Verhältnismäßigkeit. Grundsätzlich handelt es sich bei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit um ein mehrgliederiges Institut, deren Stufen zumindest die Geeignetheit und die Erforderlichkeit einer Maßnahme umfassen.

Mit seinem Urteil vom 29. Juni 2010 (C-441/07 P) entschied der EuGH über den Prüfumfang und stellte dabei fest, dass die Erforderlichkeit nur insofern geprüft zu werden braucht, als weitere Verpflichtungszusagen der Unternehmen vorliegen. Sollte somit nur eine angeboten worden sein, wäre diese pauschal erforderlich, unabhängig davon ob sie einseitig in einem „normalen“ Verfahren nach Art. 7 der VO 1/2003 hätte erlassen werden können.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Besonderheiten der Zusagenentscheidung gem. Art. 9 der VO 1/2003 eine derartige Beschränkung des Prüfumfangs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen vermögen.