Ein Erfahrungsbericht zu einem Auslandssemester in Südkorea von Philipp Scheuble (Student der Rechtswissenschaft)
Warum ein Auslandssemester in Südkorea verbringen?
Studieren an einer Frauenuniversität in Südkorea. Zugegeben wesentlich ungewöhnlicher hätte man es wohl kaum treffen können. Frankreich, Spanien, USA, Russland oder China, auch wenn diese Länder mehr oder weniger weit entfernt sind, Land der Träume oder respekteinflößend, bei jedem dieser Länder hat man ein gewisses Bild vor Augen. Aber Südkorea? Die häufigsten Kommentare, die ich bei Eröffnung meines Plans, nach Südkorea zu gehen, gehört habe, waren: „Wo liegt das eigentlich? Ist doch da irgendwo in der Nähe von Vietnam, Thailand und China“, bis zu: „wie du gehst jetzt zu dem Diktator da?“ – Korea, das war irgendwie nicht greifbar. Mit Mühe und Not kann man aus seinem Gedächtnis Schlagwörter wie: Nordkorea, Diktator und vielleicht noch Samsung, herausgraben. Vielmehr ist es jedoch nicht.
Diese Wissenslücke trieb mich an. Ich wollte dieses ungreifbare, undefinierbare Land entdecken und erfahren was wirklich dahintersteckt. Dementsprechend fing ich an, mich über Korea schlau zu machen. Schnell stellte ich fest, hinter Südkorea verbirgt sich einiges mehr. Korea, das ist ein Land, mit einer unglaublichen Geschichte und Entwicklung. Nach dem Koreakrieg (1950-1953), völlig zerstört, ohne Industrie, Bodenschätze und Wiederaufbauhilfen wie beispielsweise der Marshall-Plan, war Korea eines der ärmsten Ländern der Welt und wurde als „das Land ohne Hoffnung“ bezeichnet. Die Koreaner ließen sich jedoch nicht unterkriegen. Mit viel Fleiß bauten sie das Land wieder auf und erschufen ein Hightech-vernarrtes und extrem modernes Land.
Endlich angekommen in meinem neuen Heimatland für die nächsten Monate
Entsprechend groß waren meine Erwartungen. Wie würde das Leben dort wohl aussehen? Wird es dort noch so etwas Banales wie Schlüssel für die Türen geben? Fliegen die Autos dort bereits durch die Luft? Muss man noch selbst einkaufen gehen oder erledigt das der Kühlschrank bereits für einen?
Um es kurz zu machen. Die Koreaner kochen auch nur mit Wasser, aber das Wasser ist dort ein ganzes Stückchen heißer. So gibt es sie noch, die banalen Dinge wie Türschlüssel, doch ist man dort bereits einen Schritt weiter. Beispielsweise fast die komplette Bevölkerung mit Smartphones ausgestattet (auch die Ü60-Generation), es gibt überall (auch in Zügen, Bussen, U-Bahnen) Wlan Empfang, quasi alles kann auch per Internet erledigen. Kurz, für technikbegeisterte Menschen ein Traum.
Allerdings gibt es bei der ganzen Sache einen Haken. Korea ist noch nicht wirklich auf ausländische Besucher eingerichtet ist, d.h. ohne solide Koreanisch Kenntnisse bzw. jemanden, der einem beim Übersetzen hilft, ist man erst mal recht aufgeschmissen. Die Englischkenntnisse sind gerade bei dem etwas älteren Teil der Bevölkerung nur recht rudimentär vorhanden.
Korea ist ein Land der Gegensätze. Auf der einen Seite stehen die ganzen technischen Errungenschaften und der Fortschritt, während auf der anderen Seite an Traditionen festgehalten wird. Die in der Sprache zum Ausdruck kommende Tradition sieht es vor, dass ältere Personen, je nach Altersabstand mit bestimmten Titeln angeredet und dementsprechend ein immer formelleres und höflicheres Sprachniveau gewählt wird. Beim Trinken von Alkohol haben sich die Jüngeren von den Älteren wegzudrehen. Dazu gibt bestimmte Regeln, wer wem ein- und nachzuschenken hat (je nach Hierarchiestufe) usw.. Je nachdem, wie weitreichend diese Verhaltensregeln sind, werden sie heutzutage verschieden oft angewendet. Unter jüngeren Menschen haben diese Regeln keinen so hohen Stellenwert mehr. Kommt jedoch eine ältere Person bzw. eine Person, die in der hierarchischen Struktur beispielsweise eines Unternehmens wesentlich weiter oben steht, finden diese Traditionen doch wieder Anwendung. Glücklicherweise wird von Ausländern nicht erwartet, dass man diese Regeln wirklich beherrscht, denn die Gefahr in ein Fettnäpfchen zu treten, ist nur allzu groß. Andererseits wird es einem hoch honoriert, wenn man versucht sich an die Regeln zu halten oder diese gar beherrscht.
Das Verhalten von Koreanern gegenüber Ausländern ist zunächst einmal etwas zwiespältig. Wie bereits angesprochen, ist die Zahl der Ausländer in Südkorea niedrig. Wenn man daher auf Koreaner zum ersten Mal trifft, sind diese generell sehr neugierig und wollen wissen, wer man ist und was man macht. Auf der anderen Seite sind sie jedoch sehr zurückhaltend. Das ist darauf zurückzuführen, dass es in Korea ganz wichtig ist, sein Gesicht zu wahren, so dass erst mal ein vorsichtiges Abtasten stattfindet. Ist die erste Scheu jedoch erst einmal überwunden, entpuppen sich die Koreaner als sehr herzliches und lustiges Volk.
Immer wieder neue Erfahrungen und spannende Erlebnisse in Korea
In Korea läuft das Leben etwas anders ab, als wir das in Deutschland gewohnt sind. Bedingt durch die engen Wohnverhältnisse spielt sich das soziale Leben der Koreaner außerhalb der eigenen vier Wände ab. Daher gibt es eine unglaublich große Zahl von Cafés, Bar, Restaurants, Kinos usw.. Allein in der Gegend um meine Universität gab es ungefähr 50 Restaurants, Cafés, Kneipen und ähnliches. Ganze Blocks und Stadtviertel bestehen aus nichts anderem. Während in Deutschland vielerorts abends die Bürgersteige hochgeklappt werden, ist Seoul die ganze Zeit voller Leben. Nach 0 Uhr einkaufen? Nachts um 3 Uhr ins Kino? Oder doch lieber morgens um 5 vor der Arbeit noch kurz beim Wellness entspannen? Alles kein Problem. Ein großer Teil der Geschäfte hat 24h offen.
Die wahrscheinlich verrücktesten Einrichtungen in Korea sind Jimjilbangs. Im Kernbereich ist das eine Sauna/Spa/Wellness Landschaft. Aber eben nicht nur. Je nachdem wie groß das Jimjilbang ist, findet man dort auch Restaurants, Spielautomaten, ein Fitnessstudio, aber eben auch eine Showbühne, ein Kino, ein Internetcafé und Einkaufsmöglichkeiten. Ein Besuch in einer Jimjilbang soll also eine Wohltat für den ganzen Körper und Geist darstellen. Typisch koreanisch versteht es sich, dass eine Jimjilbang 24h, 365 Tage im Jahr offen hat. Mit Bezahlen des Eintritts kann man dort 24h verweilen und eben dort auch schlafen.
Die wohl interessanteste Erfahrung in Korea ist der Besuch der Grenze zu Nordkorea. Dort gibt es nicht nur in unmittelbarer Nähe zur Grenze einen Vergnügungspark, sondern auch einen Hügel auf dessen Spitze eine Batterie von Ferngläsern angebracht sind, mit denen man nach Nordkorea blicken kann.
Studieren in Korea läuft etwas anders ab. Jede Universität hat ihr ganz eigenes Profil. Folglich geht es bei der Wahl der Universität nicht nur darum, wie gut die Universität ist, sondern auch welche Art von Werte sie vermittelt. Durch diese stärkere Identifizierung mit der Universität ist die Bindung an diese, ähnlich wie in den USA, wesentlich stärker ausgeprägt als in Deutschland. Ebenso sind koreanische Universitäten generell Campusuniversitäten. Der Campus der Sookmyung Women´s University ist aufgrund seiner Lage direkt in der Mitte von Seoul, unweit des Hauptbahnhofs recht klein doch wunderschön. Die Sookmyung ist eine Privatuniversität und das merkt man auch. Alles ist sehr gepflegt, die Räume super ausgestattet. Neben den normalen Unterrichtsräumen gibt es beispielsweise auch Räume in denen Vorlesungen interaktiv per Videokonferenz abgehalten werden können. Die Kurse bestehen aus nicht mehr als 40 Personen. Das Unterrichtssystem ist verschulter als in Deutschland, das heißt zum Beispiel, die Kursgröße ist auf 40 Studenten begrenzt. Ebenso besteht Anwesenheitspflicht in den Vorlesungen. Infolge dessen ist der Kontakt zwischen den Professoren und den Studenten wesentlich intensiver. Weiterhin bekommt jeder Student einen Professor als Mentor zugeteilt. Neben den normalen unterstützenden Hilfestellungen von Seiten des Professors gibt es einmal pro Semester einen sogenannten Studenten-Professoren Tag. An diesem Tag findet kein Unterricht statt, sondern der Professor unternimmt gemeinsam mit seinen Studenten, die er als Mentor betreut, etwas. Auch das Lernverhalten ist anders. Koreanische Studenten lernen extrem viel. Manche Studenten haben in der Bibliothek sogar einen für sie reservierten Platz, den sie dann beispielsweise mit Pflanzen häuslich einrichten.
Highlight des Universitätsjahres sind die sogenannten Spring Festivals. Meist im Mai richtet jede Universität ein Fest aus. Je nach Größe der Universität dauert das von ein bis zwei Tagen bis zu einer Woche. Jede Universität versucht sich dort von ihrer besten Seite zu zeigen. Dort gibt es neben Unmassen von Essen und künstlerische Darstellungen von Studenten (jede einzelne hätte in Deutschland zu einem mühelosen Gewinn von diversen Castingshow geführt), Auftritte der großen Stars der koreanischen Musikszene. Somit entsteht regelrechtes Wetteifern, wer die besten Stars an seine Uni holen kann.
Nicht nur künstlerische Darstellungen mit ihren bis zum kleinsten Detail perfekt durchgezogen Choreographien, sondern auch die körperliche Fitness spielen in Korea eine extrem große Rolle. Übergewicht existiert dort ebenso wie die Gebrechlichkeit alter Menschen quasi nicht. Es gibt an allen Parks und kähnlichen Plätzen öffentliche Trimm-dich Geräte, die sowohl von Alt als auch von Jung extensiv benutzt werden.
Zusammenfassend kann man sagen: Korea ist ein wunderbares Land, in dem es jede Menge zu zu entdecken gibt.